Rückblick Regionalgruppe Mittlerer Neckarraum

Rückblick der ersten vier Gruppentreffen der RG Mittlerer Neckarraum!

Am 22. Januar, 19. Februar, 19. März und 16. April 2019 fanden Gruppentreffen des Mittleren Neckarraums mit über 80 Teilnehmern statt. Zu den Treffen kamen überwiegend Betroffene und ihre Angehörigen, die schon länger der Gruppe angehören und diese regelmäßig besuchen. Wie in fast allen Gruppen kamen neu Erkrankte, die auf uns entweder durch Mundpropaganda, das Internet oder unsere Adresse auf dem Beipackzettel von einem Enzympräparat aufmerksam wurden. Nur ganz selten kommen Teilnehmer auf Empfehlung von Ärzten, Kliniken, Krankenkassen oder Krebsberatungsstellen.

Auch die Regionalgruppe Mittlerer Neckarraum ist eine offene Gruppe und kann ohne jegliche Voranmeldung besucht werden, was natürlich für mich bedeutet, dass ich nie weiss, wie viel Betroffene kommen und auf welche Themen ich mich einstellen muss. Genau aus diesem Grund leite ich meine Gruppen in einem offenen Dialog und versuche, soweit wie es mir möglich ist, Themen zu behandeln, die in der Gruppe jetzt in diesem Moment relevant sind. Für mich macht es keinen Sinn, starre Vorträge zu halten, die bei diesem Treffen vielleicht gar nicht notwendig sind, weil ganz andere Sorgen, Ängste oder Fragen im Raum stehen, auf die die Betroffenen Antwort suchen. Jedes Gruppentreffen ist individuell und erfordert von der Leitung ein besonderes Fingerspitzengefühl.

So bin ich als Leiterin der Gruppe gefordert und muss mich der ständigen Herausforderung stellen, indem ich auf die Fragen, Bedürfnisse und Situationen der Anwesenden spontan eingehe. Dazu gehören oftmals auch sehr unangenehme Aufgaben und Gespräche wie z.B.: „Leider kann der oder die aus gesundheitlichen Gründen die Gruppe nicht mehr besuchen oder der eine oder andere hat den Kampf verloren.“

Es können unter anderem Fragen zu Komplikationen bei der Operation, ständigen Durchfällen, Verdauungsproblemen, Schmerzen sowie Fragen zur familiären oder ganz persönlichen Situation kommen. Bei solchen schwierigen Problemen muss man sich sehr bewusst sein, dass hier behutsames Vorgehen angesagt ist. Ein unbedachtes oder falsches Wort kann für den Betroffenen gravierende Folgen haben. Hier ist es besser, man befolgt die Regel: „Schweigen ist Gold, Reden ist Silber.“

In den vergangenen Gruppen hatten wir die Themen: Ernährung, Verdauung, Enzyme, Operationen, Zysten, Tumorarten, Tumormarker, Polyneuropathie, Schmerzen, Patientenverfügung, Betreuungs- bzw. Generalvollmacht, Endlichkeit behandelt. Es ist bei dieser vielfältigen Thematik unschwer zu erkennen, dass die Gruppenleitung über Erfahrung, Wissen, Menschlichkeit und Empathie verfügen muss. Wie kann sie sonst Fragen wie z. B. über die richtige und ausreichende Einnahme der Enzyme, welche Nebenwirkung hat diese oder jene Chemotherapie, welche Funktionen hat die Bauchspeicheldrüse, was ist der Unterschied zwischen Typ 1, 2 und 3c Diabetes u v m. richtig beantworten? Ja, man kann es nicht oft genug sagen, wir machen eine breit gefächerte Prävention in jedem Gruppentreffen. Diese besteht darin, dass wir auf die richtige, ausreichende Einnahme der Enzyme hinweisen. Wie messe und spritze ich richtig bei dem 3c Diabetes? Wie komme ich wieder auf die Füße nach der schweren Operation? Die Präventionsarbeit ist wichtig und spart die meisten Kosten.   

Die Gruppenarbeit in allen unseren Gruppen befasst sich ausschließlich mit Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, insbesondere dem Bauchspeicheldrüsenkrebs. Hier handelt es sich um ernsthafte Erkrankungen, deren Verlauf und Ausgang sehr ungewiss ist. Ja, man darf es offen sagen: wir behandeln mit diesem Thema eine der schlimmsten Krebsarten, bei der es noch immer keine Heilungschancen gibt. Umso wichtiger ist es, dass man auf die heutigen Chancen verweist, mit denen man eine deutliche Lebensverlängerung bei guter Lebensqualität erreichen kann.

So kam es, dass wir bei einem der letzten Treffen über Patientenverfügung, Betreuungs- bzw. Generalvollmacht sprachen und dabei unweigerlich auch zu dem Thema Endlichkeit kamen.

Es stand die Frage im Raum, was will ich am Ende des Lebens? Welche Wünsche habe ich und wie setze ich sie um? Welche Vollmachten brauche ich, damit das umgesetzt wird, was mir wichtig ist? Wer soll meinen Nachlass bekommen und wer schaut danach? Was muss man tun, wenn man TEB e.V. im Nachlass mit berücksichtigen will? Offen, ehrlich und sehr vertrauensvoll behandelten wir diese heiklen, speziellen und sensiblen Themen und jeder merkte, dass es uns alle berührte, und doch war es wichtig und sinnvoll, darüber zu sprechen.

„Das war heute ein wichtiges Thema“, machte ein Betroffener deutlich und er fügte hinzu: „Wir alle wissen, irgendwann müssen wir diese schöne Welt verlassen, aber keiner will es wahrhaben. Deshalb bin ich dankbar, dass ich hier mit Euch darüber reden darf. Wer spricht schon gerne über das Ende des Lebens. Solche sensiblen Themen werden oft nicht einmal in den eigenen Familien besprochen.“

Eine Angehörige meinte: „Ich bin dankbar, dass wir über das heikle Thema heute gesprochen haben, mein Mann und ich haben noch viel zu regeln.“ Sie schaute ihren Mann an und dieser meinte: „Ja, das müssen wir angehen. Wir müssen uns heute schon darüber klarwerden, was wir am Ende des Lebens wollen, denn keiner weiß, wann wir abgerufen werden, und das gilt für krank wie für gesund.“

Ich schloss die Gruppe mit den Worten: „Ob jung oder alt, krank oder gesund, keiner weiß, wann wir von dieser Welt gehen werden. Deshalb sollte jeder frühzeitig über die Regelung seiner Wünsche, Vollmachten oder seinem Nachlass nachdenken und sie gegebenenfalls niederschreiben. Wichtig ist, dass ich meine Wünsche klar und deutlich darlege und dafür sorge, dass sie zu gegebener Zeit so umgesetzt werden, wie ich zu Lebzeiten verfügt habe. Damit kann man so manchen Stress, Ärger und Streit nach meinem Ableben vermeiden.“

Das vierte Treffen war für uns alle sehr emotional!  Hier hatten wir eine ganz andere Situation als in den anderen Gruppentreffen zu bewältigen. Ein „Neuer“ schilderte sichtlich bewegt seine jetzige Lage und sprach darüber, was diese schwere Erkrankung seit der Diagnose aus seinem Leben gemacht hat. Es tat uns allen weh, als er schilderte, dass er im Moment ohne Hoffnung und Perspektive ist. Diese Krankheit hat ihm alles genommen und sein Leben dramatisch verändert. Alle saßen wir zutiefst betroffen da und versuchten, aus dem eben Gehörten einen Weg zu finden, wie man diesem Menschen in seiner ausweglosen Situation helfen kann. Am besten kann man das, wenn man aus eigener Erfahrung spricht und zeigt: „Schau, mir ging es damals ähnlich.“ Wir versuchten, Mut, Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln. Leider spürten wir, dass unser Bemühen nicht ankam. Zu groß waren der Schmerz, die Hilflosigkeit, Existenzangst, Sorgen, Kummer und Nöte. Er hatte im Moment alles verloren, was seine Zukunft ausmachte.

Es war ganz deutlich, dass unser Gesundheitssystem nicht nur kleine Löcher hat, wie ich es in einem meinem Magazin beschrieben habe, sondern riesige. Wer heute jung ist, unvorhergesehen und ohne eigenes Verschulden krank wird und deshalb nicht mehr arbeiten kann, wird oft alleine gelassen. Diese kranken Menschen verlieren sehr schnell den Boden unter den Füßen. Ja, sie können rasch in eine finanzielle Schieflage und Not kommen und dabei völlig den Halt verlieren. Der kranke Mensch muss nicht nur mit der Erkrankung fertig werden, sondern auch mit ganz vielen Problemen, die die Folgen seiner Erkrankung sind. Das alles kann nicht förderlich sein und hemmt die Kraft, den Kampf gegen diesen Krebs aufzunehmen. Um zu kämpfen, benötigt man Kraft, Ruhe, ein gutes und sicheres Umfeld und leider auch Geld. Nicht alles und jedes kann von den Kassen übernommen werden. Die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs ist grausam und zerstört Existenzen, Ziele und Wünsche. In der Regel wollen Kranke wieder gesund werden und ihre Arbeitsfähigkeit erhalten. Sie nehmen Operationen, Chemotherapie und häufig Schmerzen und Unwohlsein in Kauf. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn die Whipple-Operation, die als sehr erfolgsversprechend angeboten wurde, nicht den erwünschten Erfolg brachte und der Zustand sich danach dramatisch verschlechterte. Im Nachhinein helfen keine Worte wie: „Den Ausgang konnte keiner wissen“, oder: „Es wird schon irgendwann besser werden, Sie brauchen Geduld.“ Der Erkrankte kann und will diesen Worten keinen Glauben schenken, jetzt geht es ihm "dreckig", und er sucht jetzt Hilfe und Unterstützung. Alle gut gemeinten Worte bringen nichts, außer, dass sie wehtun. Ein Mensch, der keine Ziele und keine Perspektive hat, fühlt sich hilflos, leer und ausgegrenzt.

Auch wir hatten keine Patentlösung, und doch gelang es uns, ihn ein wenig zu trösten, indem wir ihm sagten: „Einige von uns saßen am Anfang auch so verzweifelt da und sahen keinen Hoffnungsschimmer. Schau uns heute an. Wir haben Wege gefunden, mit der Situation zu leben. Wir haben in der Gruppe Halt, Zuversicht und Kraft bekommen. Auch wir wissen nicht, wie lange es uns gut gehen wird, doch wir kämpfen. Bitte, gib nicht auf!“

Gab es ein besseres Schlusswort? Nein, - und mit diesen Worten beendete ich die Gruppe. Doch kaum einer wollte nach Hause. So unterhielten sich einige noch lange untereinander, bis sie dann irgendwann den Heimweg antraten.

Diese beiden unterschiedlichen Gruppentreffen zeigen, dass es wahrhaftig nicht einfach ist, eine Selbsthilfegruppe mit einem derartig schweren Krankheitsbild zu führen und zu leiten. Für mich ist es jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, die ich gerne annehme, weil mir dadurch immer wieder die Bedeutung und der tiefe Sinn von Selbsthilfe vor Augen geführt wird.

 

Katharina Stang