Aber gestern war die Welt noch in Ordnung

Eine Angehörige berichtet

Mein Ehemann hatte zwar seit gut drei Monaten immer über ein Völlegefühl geklagt, aber richtig Sorgen habe ich mir nicht gemacht. Er ging genau wegen dieser Beschwerden auch regelmäßig zum Doktor. Laut seinem Hausarzt war das alles nicht so schlimm. Für den Magen bekam er zuerst einmal Pantoprazol und zudem noch eine Ernährungsberatung verordnet. Die ein paar Wochen später durchgeführte Magenspiegelung ergab auch keine Auffälligkeit.

Der Sommer 2017 stand an und somit für uns die schönste Jahreszeit. Unbeschwertheit: Sommer, Sonne, Urlaubszeit - Motorrad fahren, Freunde treffen, viel draußen unternehmen, unser Italienurlaub und kurz danach noch ein Urlaub mit der ganzen Familie! So richtig unbeschwert konnte ich diese Zeit nicht wirklich genießen. Meinem Mann stand schließlich die Sorge um sich selbst mal mehr Mal weniger ins Gesicht geschrieben. Ein erneuter Arztbesuch stand an. Und endlich sollte auch mal ein Ultraschall vom Bauchbereich gemacht werden!

Eine_Angehoerige_berichtet.jpgNormalerweise schickte mir mein Mann immer eine Entwarnungsnachricht mit den neuesten Erkenntnissen auf mein Handy. An diesem Tag - nichts. Auch auf mein Nachfragen kam keine Antwort. Ich wähnte ihn jedoch immer noch in "Sicherheit" - auf der Arbeit, eventuell etwas gestresst durch seinen dem Arztbesuch geschuldeten späteren Arbeitsbeginn. Zum Feierabend beim nach Hause fahren rief ich ihn an: „Alles klar bei dir, wo bist du?"

Jeder Mensch kann sich an seinen Aufenthaltsort bei bestimmten Ereignissen im Leben erinnern. Bei mir waren das bis zu diesem Tag der Tod von Lady Di und das Attentat auf das World Trade Center in Amerika. Die Nachricht von dem Tumor an der Bauchspeicheldrüse meines Mannes habe ich durch die Freisprecheinrichtung im Auto, beim Einfahren in den Rosensteintunnel in Stuttgart, erfahren.

Am 29.08.2017 hörte meine Welt erst einmal auf, sich zu drehen und ein Albtraum begann. Sehnsucht nach dem „normalen" Alltag und nach einem Erwachen aus dem Albtraum waren in den ersten Wochen meine ständigen Begleiter. Seit dieser Diagnose ist alles schlagartig anders. Das gesamte Leben ist wie unter einer Glocke. Vieles, was einst wichtig war, ist unwichtig, vieles, was selbstverständlich war, ist unendlich wertvoll geworden!

Die ersten Tage und Wochen ... dem Kind erst einmal einen Namen geben. Feststellen, um welche Art von Tumor es sich handelt. Das und noch mehr solcher Aussagen hat der behandelnde Hausarzt meinem Mann mit auf den Weg gegeben.

Der Hausarzt hat für meinen Mann dann gleich einen Termin in dem Klinikum Ludwigsburg vereinbart. „Gleich" bedeutet in dem Fall 10 Tage später. In diesen Tagen des Wartens haben wir beide wie zwei aufgescheuchte Vögel versucht, in alle Richtungen zu ermitteln, Wissen, mögliche Zweitmeinungen, Dr. Google hoch und runter und doch sind wir keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil, jeder Tag hat uns mehr unbeantwortete Fragen eingebracht.

Bei dem Gespräch im Krankenhaus wurde uns die Notwendigkeit der Biopsie erläutert. Man war nett zu uns, der aufklärende Assistenzarzt hat sich Zeit genommen. Wirklich helfen konnte er uns nicht, wie auch? Die Ängste und Sorgen bleiben. Diese hatten wir auch angesprochen und um einen schnellen Termin gebeten. Jedoch schnell geht im deutschen Gesundheitssystem gar nichts. Die Biopsie sollte erst in 7 Tagen stattfinden, fast 3 Wochen nach Stellung der Diagnose! Wieder eine Woche, eine weitere Woche länger mit diesem Tumor im Bauch! Angst! Meinen Mann leiden sehen! Angst, ihn zu verlieren. Machtlosigkeit!

Im Wartebereich des Krankenhauses lag ein Stapel mit Infobroschüren. Das Haupttitelthema: Bauchspeicheldrüsenkrebs ist grausam und kann jeden treffen. Ich steckte mir diese Broschüre erst einmal ungelesen in die Handtasche. Im Nachhinein gesehen war das der Griff nach unserem Lichtblick. Zuhause habe ich die Broschüre aus der Klinik durchgelesen, da stand was von einer Selbsthilfeorganisation und von einer persönlichen Beratung! Diesen Hinweis habe ich meinem Mann gegeben. Sein erster Besuch bei der TEB e.V. Selbsthilfe stand an - gleich und sofort! Er konnte nach einem Telefonat direkt mit allen seinen vorliegenden Arztberichten vorbeikommen. Der zuvor angedeutete Lichtblick kam für uns in Form von Frau Katharina Stang (nachfolgend von mir nur noch Katharina benannt), 1. Vorsitzende von TEB e. V. Selbsthilfe.

Nach dieser ersten persönlichen Beratung war mein Mann das erste Mal wieder ein anderer. Er war ruhiger und nicht mehr der aufgescheuchte Vogel der letzten Wochen. Er berichtete mir mit den Worten: „Du, da hatte ich echt Glück gehabt, dass ich dorthin gegangen bin. Die Katharina kennt sich aus. Die hat in meinem Beisein den behandelnden Arzt im Klinikum angerufen und hat mir geholfen, die richtigen Fragen zu stellen. Die spricht mit den Ärzten im Klinikum auf Augenhöhe. Sie konnte mir meine Fragen beantworten und sie hat mir Hoffnung gegeben.“ Sofort nach seiner ersten persönlichen Beratung fand zufällig auch das monatliche Treffen für die Betroffenen (+Angehörige) statt. Die Möglichkeit, sich dort auszutauschen und Betroffene zu sehen, die mit ihrer Diagnose bereits 2 oder 3 Jahre leben, ließen ihn ruhiger werden.

Für meinen Mann stand dann der Klinikaufenthalt an. Die Biopsie ergab leider kein positives Ergebnis. Die ein paar Tage später durchgeführte Operation musste leider ohne Erfolg abgebrochen werden. Noch während mein Mann im Krankenhaus lag, konnte ich mit den Krankenhausberichten bei Katharina vorbeischauen. Sie hat mit mir gemeinsam die Befunde gelesen und sie mir erklärt. Menschlich ist Katharina unser Engel. Sowohl mein Mann als auch ich haben bei ihr das Gefühl, da steht jemand neben mir/uns. „Die" von der TEB e.V. Selbsthilfe gehen jeden Schritt mit mir/uns und ich/wir bin/sind nicht mehr alleine.

Die Diagnose ist immer noch dieselbe und immer noch genauso grausam! Jedoch haben die vielen ausführlichen Gespräche mit Katharina, durch die wir viele wichtige und hilfreiche Informationen erfahren durften, geholfen, die Krankheit anzunehmen. Wir sind dran, das Überlebenszeitfenster dieser Erkrankung für meinen Mann so weit wie möglich zu öffnen. Katharina steht uns zur Seite und überdenkt mit uns die Empfehlungen der Ärzte, gemeinsam mit ihr haben wir uns den weiteren Behandlungsverlauf überlegt und entschieden.

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Ich möchte meinen Dank an Katharina und ihr Team aussprechen. Ich weiß es zu schätzen und weiß, dass es in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich ist, dass sich andere so für jemanden stark machen! Ich verstehe auch nicht, warum ein Verein wie TEB e.V. Selbsthilfe, den ich so wertvoll für alle Betroffene erlebe, für nicht förderfähig eingestuft ist. Katharina kann meinen Mann auch nicht gesund machen, aber sie begleitet unseren Weg und lässt uns nicht alleine. Die Krankheit lebt mit uns und wir mit ihr. Natürlich gibt es immer noch viele Momente der Verzweiflung, aber eben auch das normale Leben! Wir genießen bewusst, es wird nichts mehr aufgeschoben, sondern gelebt! Wir leben hier und jetzt!

Allen Erkrankten wünsche ich das Erreichen der persönlichen Ziele und Wünsche.

T. W.