Rückblick auf 20 Jahre
20 Jahre zuhören, auffangen, beraten, begleiten.
Freud, Leid, Lachen, Weinen, Trauer, Tod, Arbeit, Entbehrungen, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit waren meine ständigen Begleiter. Selbsthilfegruppe ist nicht gleich Selbsthilfegruppe und Gruppenarbeit und Gruppenleitung erst recht nicht, wenn es auch in der Öffentlichkeit oftmals so bewertet wird.
20 Jahre Gruppenarbeit/Leitung waren mit einem hohen persönlichen Einsatz, Eigenverantwortung, Menschlichkeit, Idealismus und Disziplin verbunden. Damals hatte ich eine Vision, Ziele, Ideen, Kraft und Mut, um Dinge anzupacken, zu ändern oder zu verwirklichen. Ich war voller Zuversicht, unbefangen und glaubte tatsächlich, dass jeder meine Idee, schwerstkranken Menschen zu helfen, gut finden würde. Doch so war es nicht, stattdessen blies mir sehr oft ein rauer Wind entgegen.
Früh musste ich erkennen, dass man mich nicht immer und überall mit offenen Armen empfing. Ich musste, wollte ich bestehen, so manchen Stein, ja man kann sagen auch manchen Felsen, aus dem Weg räumen. Je öfter ich für die gute Sache kämpfen musste, umso sicherer wurde ich und veränderte meine innere und äußere Haltung, damit auch meine Tonart und mein Auftreten.
Was glauben Sie, wenn ich wie eine kleine graue Maus aufgetreten wäre, hätte man mich gehört, beachtet und ernst genommen? Erst meine eigene schwere Erkrankung, schlechte Erfahrung, Unsicherheit und Hilflosigkeit waren mein Antrieb, um etwas zu verändern und zu bewegen. Mein unbeugsamer Wille, sich für die Interessen schwerstkranker Menschen einzusetzen, war der Motor.
Voller Euphorie, ohne großes Wissen, mit wenig Ahnung gründete ich 1999 die erste Selbsthilfegruppe in Ludwigsburg unter dem Dach des AdP. Es war die erste Selbsthilfegruppe für Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, insbesondere Bauchspeicheldrüsenkrebs in Baden-Württemberg und auch bundesweit.
Noch heute kann ich mich an das erste Gruppentreffen, meine Aufregung, Angst und Unsicherheit erinnern, als ich vor 5 Betroffenen und deren Angehörigen saß und feststellen musste, dass 3 von ihnen einen bösartigen Tumor hatten und Antworten auf ihre Fragen erwarteten. Darauf war ich nicht vorbereitet, weil ich von meiner Situation ausging, dass es nach der Operation wieder aufwärts geht und mit einigen Einschränkungen ein normales Leben geführt werden kann.
Plötzlich war sie da, die Konfrontation mit der Endlichkeit. So kam es, dass bereits am ersten Abend meine Idee einen richtigen Dämpfer bekam. Ich war gezwungen, mich mit der neuen Situation, nämlich mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, auseinanderzusetzen. Noch am gleichen Abend musste ich mich entscheiden, nehme ich die Herausforderung an, oder höre ich sofort wieder auf. Stundenlang diskutierte ich mit meinem Mann in dieser Nacht. Es war eine schwere Entscheidung, mein Verstand sagte nein, mein Herz sagte ja. Mir war klar, wenn ich die Gruppe weiterführen will, reichte meine eigene Erfahrung und das wenige Wissen, das ich damals hatte, nicht aus. Ich spürte sofort, dass Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und Bauchspeicheldrüsenkrebs unterschiedliche Krankheitsbilder sind mit unterschiedlichem Schweregrad, vor allem was die Lebenserwartung betrifft. Bauchspeicheldrüsenentzündung und Bauchspeicheldrüsenkrebs sind wie Turnschuh und Pumps.
Mir war an diesem Abend sofort klar, nur mit meinen eigenen Erfahrungen und gutem Willen war diese Gruppe nicht zu führen. Diese Betroffenen und Angehörigen suchten mehr als nur einem regen Austausch untereinander. Sie suchten Hilfe, Unterstützung und Antworten auf ihre Fragen.
Sie wollten wissen, welche Möglichkeiten, Behandlungen und Therapien für sie in Frage kommen und wo sie Spezialisten finden. Zentrale Fragen waren die Ernährung, Enzyme, Gewichtsabnahme, Verdauung, Chemo, Nebenwirkungen, Nachsorge und die totale Erschöpfung.
Obwohl die Gruppe damals sehr gut angelaufen ist, tendierte ich eher zum Aufhören als zum Weitermachen. Ich stellte fest, dass ich den Fragen der Betroffenen nicht gerecht werden konnte, es fehlte mir das Fachwissen.
Ich ließ mich nicht entmutigen. Von jetzt an las ich Fachbücher, besuchte Fachkongresse, sprach und diskutierte mit erfahrenen Ärzten im Bereich der Bauchspeicheldrüse, Betroffenen und Angehörigen. Alles, was ich erfahren habe, sog ich auf wie ein nasser Schwamm. Mit jedem Treffen wuchs meine Erfahrung, Fachwissen, Idealismus und auch die Routine.
2006 war nochmals ein entscheidendes Jahr, in dem ich eine Entscheidung treffen musste. Aus verschiedenen Gründen wollte ich den AdP verlassen und damit die Gruppe aufgeben. Meine Absicht, aufzuhören, teilte ich meiner Gruppe mit. Es herrschte blankes Entsetzen und so mancher Betroffene und Angehörige wollte, dass ich unbedingt weitermache. Um sicher zu gehen, dass das auch der Wunsch von allen war, machten wir eine schriftliche Umfrage mit folgendem Inhalt: „Soll die Gruppe unter meiner Leitung weiterbestehen? Bleiben Sie auch in der Gruppe, wenn wir nicht mehr unter dem Dach des Adp sind?“ 99,9% stimmten fürs Weitermachen.
Nachdem die Übernahme geregelt war, wurde aus der ehemaligen Kontaktstelle 70, so hieß die Gruppe damals, die Selbsthilfegruppe Bauchspeicheldrüsenerkrankungen.
2006 wurde TEB e. V. gegründet und damit diese Gruppe umgewandelt in die Regionalgruppe Mittlerer Neckarraum. Inzwischen gibt es bundesweit verschiedene Regionalgruppen unter meiner Leitung. Betroffene und Angehörige, die regelmäßig in die Gruppentreffen kommen, profitieren von jahrelangen Erfahrungen und breitgefächertem Wissen. Sie finden in den Gruppen Menschlichkeit, Empathie und vor allem Zeit. Dafür nehmen sie oftmals sehr weite Wege in Kauf.
Jedes Gruppentreffen ist auch für mich eine Bereicherung. Ich erfahre sehr viel Positives und Schönes. Doch wo Sonne ist, gibt es auch Schatten und somit musste ich auch mit so mancher Enttäuschung, Ärger und Intrige fertig werden.
In der Medizin hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Operationen wurden besser, Behandlungen und Therapien haben sich erweitert und optimiert. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel.
Leider hat sich unser Gesundheitssystem nicht nur zum Positiven verändert, sondern auch hier müssen Betroffene akzeptieren, dass es gravierende Einschnitte gibt. Betroffene, Angehörige kommen oftmals mit der ständigen Veränderung im Gesundheitssystem nicht klar und fühlen sich dadurch wie Menschen zweiter Klasse. Sie klagen in den Gruppen meistens darüber, dass nicht der Mensch, sondern die Kosten im Mittelpunkt stehen, und das macht ihnen Angst.
Meine heutige Erfahrung und mein Wissen wird oftmals landes-, bundes- und weltweit angefordert und nicht selten halte ich auch Vorträge über bestimmte Themen im In- und Ausland und werde in medizinische Studien eingebunden.
In den letzten 20 Jahren habe ich viele unterschiedliche Menschen kennengelernt. Darunter waren viele bereichernde und mich prägende Begegnungen, Erlebnisse und Erfahrungen. Leider musste ich auch in dieser Zeit sehr viele Menschen loslassen und mich für immer von ihnen verabschieden.
Für mich sind Selbsthilfegruppen unendlich wichtig, deshalb führe ich dieses Ehrenamt aus. Nichts kann das gesprochene Wort, die Mimik oder die liebevolle Umarmung ersetzen.
Danke für Ihr Vertrauen, Ihre Anerkennung, Wertschätzung und Achtung heute und in der Vergangenheit. Ich bin für jede Begegnung, für jeden Krankenbesuch und für jeden Nachruf, den ich halten durfte, unendlich dankbar. Dankbar bin ich auch, dass Angehörige, die schon längst ihren Partner verloren haben, TEB e.V. treu geblieben sind. Ja, es kommt auch hin und wieder vor, dass aus den Gruppen neues Glück entsteht.
Eines kann ich für die Zukunft versprechen: „Ich gebe nicht auf und werde unermüdlich weiterkämpfen, soweit ich es noch kann oder es meine Gesundheit zulässt, damit diese schwere Krankheit künftig ihren Schrecken verliert und wir irgendwann sagen können: Bauchspeicheldrüsenkrebs ist heilbar!“
Katharina Stang