Was mich mit Jessica verband
Seit vielen Jahren begleite ich Menschen mit dieser schweren Krankheit und muss am Ende des Tages Wege finden, um mit meinen Gefühlen fertig zu werden. Ein Weg ist es, meine Trauer in einem Nachruf zu verarbeiten.
Die Nachricht von Jessicas Ableben traf mich mitten ins Herz. Ich wollte und konnte es erst gar nicht fassen, dass Jessica nicht mehr unter uns ist.
Seit unserer ersten Begegnung wusste ich, dieser Tag des Abschieds wird kommen und ich hatte Angst davor.
Wie gern hätte ich, wie sicher auch viele andere, die Jessica nahestanden, es gesehen, wenn sie heute noch bei uns wäre. Das Schicksal hat es leider anders gewollt.
Traurig, tief bewegt und mit der Frage, warum es für Jessica keine Heilung oder ein Weiterleben gab, lässt mich kaum zur Ruhe kommen und doch bekomme ich, wie viele andere, darauf keine Antwort.
Seit unserer ersten Begegnung im Sommer 2018 habe ich Jessica als einen sehr liebenswerten, fröhlichen Menschen kennengelernt, mit dem ich gerne noch viele Jahre zusammen gewesen wäre. In der kurzen Zeit unserer Begegnung durchschritten wir so manches Tal der Freude, Trauer, Hoffnung und Mutlosigkeit und immer überwog ihr positives Denken und Handeln.
Wie so oft im Leben, lernten wir uns in einer Situation kennen, in der man nicht mehr der lebenslustige Mensch war, sondern man hatte plötzlich und unerwartet eine Erkrankung, die das gesamte Leben in Frage stellte.
Ich kann mich noch sehr gut an das erste Treffen erinnern, das nach einem längeren Telefongespräch in unserer Geschäftsstelle stattfand.
Schon damals konnte ich nicht glauben und verstehen, dass eine junge Frau, die vor wenigen Monaten einem kleinen Jungen das Leben schenkte, diesen aggressiven Krebs in sich trug.
Wir saßen damals zusammen und suchten nach Spezialisten, Behandlungen, Therapien. Aufzugeben oder zu resignieren kam für Jessica nicht in Frage. Jessica hatte ein Ziel, das auch gleichzeitig ihr Wunsch war: sie wollte noch einige Zeit leben und ihren Jungen aufwachsen sehen. Es war eine Freude zu sehen, was für eine tolle und liebevolle Mutter sie war. Ich besuchte sie zu Hause, als es ihr nicht gut ging. Sie saß auf ihrem Bett und der kleine Mann lag neben ihr. Immer wieder unterbrach sie das Gespräch, weil der Kleine ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit einforderte, so als ob er gewusst hat, dass er bald ohne Mama aufwachsen muss.
Immer wieder haben wir uns über WhatsApp ausgetauscht und damit die Verbindung gehalten. Als ich längere Zeit nichts von ihr hörte, schrieb ich ihr: „Wie geht es Dir?“
Die Antwort kam prompt: „Es geht so! Komm mich doch besuchen, ich würde mich sehr freuen. Ich weiß, Du hast viel zu tun und wenig Zeit, deshalb kannst Du zu jeder Zeit und auch unangemeldet kommen.“
Diesem Wunsch wollte ich unbedingt nachkommen und nahm mir wenige Tage später Zeit dafür. Unangemeldet standen ich und die Mutter einer Freundin von Jessica vor ihrer Wohnungstür. Ihr Mann öffnete die Tür. Sofort spürten wir, dass etwas passiert sein musste. Der Blick von ihm ließ uns erstarren.
Er bat uns einzutreten. Es fiel ihm sichtlich schwer zu sprechen: „Jessica wird sterben, es gibt keine Rettung.“
Betroffen und tieftraurig gingen wir nach Hause. Kurz darauf erreichte mich über WhatsApp die Nachricht, dass Jessica sich von allen, die ihr nahestanden, verabschiedet. Und nur wenige Tage später bekam ich dann die traurige Nachricht: „Jessica ist von uns gegangen.“
Wir, ich und ein weiterer Vertreter von TEB e. V., durften an der Trauerfeier und anschließenden Urnenbeisetzung teilnehmen. In der Kirche hatte ich das Gefühl, Jessica saß mitten unter uns, als der Pfarrer, der sichtlich berührt war und mit seinen Gefühlen kämpfen musste, eine ganz bewegende und für mich einzigartige Trauerrede hielt. Noch heute klingen mir seine Worte im Ohr, als er die Frage stellte: “Wie geht man damit um, dass eine junge Frau, eine junge intakte Familie mit einem Mal zerstört wird? Warum musste Jessica, die gerade 32 Jahre war, gehen? Warum durfte sie ihr Kind, das sie über alles liebte, nicht aufwachsen sehen? Wie geht man mit dieser Wut und Trauer um? Welche Antworten gibt man ihrem Mann und ihren Eltern?“ Jeder konnte die Ratlosigkeit und gleichzeitig auch die Hilflosigkeit in seiner Rede spüren, und doch hörte man die große Anerkennung und Wertschätzung heraus, die ganz alleine Jessica gehörte. Sie war ein ganz besonderer Mensch, eine Bereicherung für jeden, der sie kennenlernen durfte.
Voller Demut sage ich danke. Danke für die Zeit, in der ich Dich kennen und schätzen durfte. Liebe Jessica, unsere Begegnungen werden immer in meiner Erinnerung bleiben. Ich werde Dich nie vergessen!
Katharina Stang
Juni 2019