Abschluss des Forschungsprojekts Bauchspeicheldrüsenkrebs
von Patrick Ristau, M. A., Pflegewissenschaft, Praixisanleiter für NotfallsanitäterInnen
Liebe TEB-Mitglieder,
liebe Interessierte,
im vergangenen Winter 2017/2018 hat Sie über TEB e.V. der Teilnahmeaufruf erreicht, sich an meinem Forschungsprojekt zu beteiligen. Unter dem Motto „Ver- stehen, was Betroffene erleben“ bin ich im Rahmen meiner Masterarbeit im Fach Pflegewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Darmstadt der Frage nachgegangen, welche Erfahrungen Betroffene während ihres Diagnoseprozesses machen. Weiterhin interessierte mich, was die Erkrankung mit den Betroffenen macht, was sich für sie ändert und wie sie mit diesen Veränderungen umgehen. Ein weiteres Augenmerk lag daher auch auf den Verarbeitungs- und Bewältigungsprozessen.
Hintergrund des Projekts
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich bis dato kaum Arbeiten, die sich in der Vergangenheit mit diesen Themen beschäftigt hätten. Wenn Studien zum Bauchspeicheldrüsenkrebs durchgeführt werden, handelt es sich größtenteils um Medikamentenstudien, in denen das Krankheitserleben eher einen abstrakten und nebensächlichen Aspekt darstellt. Das wollte ich ändern, denn ich glaube, dass man die Versorgung und Unterstützung der Betroffenen nur verbessern kann, indem man von deren Bedürfnissen, Sorgen und Nöten, aber auch ihren Ressourcen weiß. Die große Resonanz, die ich auf meinen Aufruf erhielt, gab meiner Idee Recht: Eine Vielzahl von Betroffenen und Angehörigen hat sich bei mir gemeldet, und teilweise melden sich Interessierte auch heute noch. Doch dazu später mehr.
Teilnahmeaufruf und Vorbereitungen
Die Interessierten konnten sich ab Dezember 2017 telefonisch oder per E-Mail bei mir melden. Nach einem ersten Gespräch ließ ich ihnen per Post einige Unterlagen zum Projekt zukommen. Darunter befand sich auch eine Einverständniserklärung, die ich ausgefüllt und unterschrieben benötigte. Sie ist besonders wichtig, da die Teilnahme freiwillig und die Einwilligung erst nach einer gewissen Bedenkzeit erfolgen sollte.Rückmeldungen und Interviews
Auf diesem Weg habe ich mittlerweile mehr als drei Dutzend Rückmeldungen erhalten. Aus Kapazitätsgründen konnte ich mich jedoch lediglich mit 12 Betroffenen verabreden. Dankenswerterweise haben mich alle InterviewpartnerInnen zu sich nach Hause eingeladen. So fanden die Gespräche in vertrauter Umgebung und in privater Atmosphäre statt. Die geplante Interviewzeit betrug jeweils ca. eine Stunde, wobei das kürzeste Interview 40 Minuten und das längste 190 Minuten dauerte. Auf diese Weise entstanden insgesamt 12 Stunden und 56 Minuten digitale Aufzeichnungen.
Worum es geht?
Die Interviews selbst folgten keinem strengen Frage-Antwort-Schema. Vielmehr bat ich meine Gesprächspartner mit einer Einstiegsfrage, von ihrer Krankheit zu erzählen. Diese lautete zum Beispiel: „Wie war das denn damals, als Sie von Ihrer Krankheit erfahren haben? Können Sie sich an die Situation erinnern?“ Hierauf unterbrach ich mein Gegenüber nicht mehr sondern hörte mir die Geschichten an. Parallel dazu fertigte ich mir Notizen an, um später Rück- und Verständnisfragen zu stellen. Ein Leitfaden erinnerte mich daran, alle Fragebereiche von Interesse anzusprechen. Das Interview zeichnete ich mit einem Diktiergerät auf.
Verschriftlichung der Aufzeichnungen
Das Interviewmaterial wurde im Anschluss verschriftlicht. Dazu habe ich es über Kopfhörer angehört, parallel wortwörtlich abgetippt und anschließend gelöscht. Diese Arbeit, das sogenannte Transkribieren, ist besonders langwierig. Je nach Aufnahme benötigte ich zwischen fünf und zehn Minuten, um eine Interviewminute zu verschriftlichen. Dabei ist es aus Gründen der Konzentration nicht möglich, mehr als vier Stunden über einen Tag verteilt zu transkribieren. Entsprechend erfolgte das Verschriftlichen parallel zur Durchführung der Interviews im Zeitraum Dezember 2017 bis einschließlich Februar 2018. Insgesamt dauerte dieser Schritt ca. 100 Stunden und führte zu einigen hundert Seiten Abschrift, den sogenannten Transkripten. In den so entstehenden Texten habe ich Namen und Orte unkenntlich gemacht, sodass durch die fertigen Texte kein Rückschluss mehr auf die InterviewpartnerInnen möglich war. Schließlich spielt der Datenschutz im Umgang mit den Informationen zu den Betroffenen eine enorme Rolle! Herausarbeiten der Kernaussagen und Kategorien
Mit den so erstellten Transkripten habe ich nun weitergearbeitet. Vereinfacht gesagt habe ich die Interviews satz- bzw. abschnittsweise auf ihre Kernaussagen reduziert. Hierzu habe ich ein spezielles Computerprogramm genutzt, mit dem ich den Kernaussagen manuell sogenannte Kodes zuweisen konnte. Auf diese Weise konnte ich insgesamt ca. 1.800 Kernaussagen identifizieren, die ich mittels ca. 430 unterschiedlicher Kodes zusammenfasste. Ähnliche Kodes konnten zu Kategorien zusammengefasst werden. Bis hierhin klingt das Vorgehen wohl sehr theoretisch, deshalb möchte ich das Vorgehen anhand eines Beispiels verdeutlichen: Den Vorlauf zu ihrer Diagnosestellung beschreiben die InterviewpartnerInnen sehr unterschiedlich. In manchen Fällen koordiniert der Hausarzt alle Untersuchungen, in manchen besteht eine Vorahnung, in anderen geht der Diagnosestellung eine lange Phase der Fehldiagnosen voraus. In diesem Beispiel bilden die gefetteten Begriffe die Kodes innerhalb der Kategorie Vorlauf zur Diagnosestellung. Das System zur Kodierung ist hierbei nicht starr oder vorgegeben. Vielmehr entwickelt es sich aus den Texten und ist somit einzigartig.
Vergleich der Fälle und erste Ergebnisse
Nachdem alle Transkripte kodiert waren, konnte ich Vergleiche zwischen den einzelnen Fällen anstellen und suchte dabei nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Erleben, den Erfahrungen, der Verarbeitung und Bewältigung. Die Diagnose- und Versorgungsprozesse erleben die Betroffenen dabei höchst unterschiedlich, häufig aber schleppend und aus ihrer Sicht wenig zufriedenstellend. Hier sind vielfältige Ansatzpunkte für Verbesserungen erkennbar! Insbesondere vergeht häufig unnötig viel Zeit aufgrund des Wartens auf Untersuchungstermine. Jedoch heben die Betroffenen auch die Rolle der Selbsthilfegruppe positiv hervor: In vielen Fällen ist sie kompetente Ansprechpartnerin in allen Belangen rund um die Erkrankung und deren Folgen und Auswirkungen. Zusätzlich profitieren einige Betroffene durch den Austausch mit anderen Erkrankten. Jedoch gibt es nicht so etwas wie den Standard-Erkrankten oder die Standard-Betroffene. Die individuellen Bedürfnisse, Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien hängen beispielsweise von der jeweiligen Lebenssituation, der Lebensgeschichte und der individuellen Prognose ab. An dieser Stelle ist mit Vorsicht anzunehmen, dass die Verarbeitung und Bewältigung bei Menschen mit kurativer (heilender) Therapieintention anders stattfindet als die bei Menschen mit palliativer (lindernder) Behandlung. Hieraus kann man unter Vorbehalt schlussfolgern, dass es mindestens zwei große Gruppen Erkrankter mit unterschiedlichen Bedürfnissen gibt.
Weiterer Forschungsbedarf
Wie Sie vielleicht gemerkt haben, habe ich den vorherigen Absatz mit Bedacht formuliert. An dieser Stelle wäre es vermessen zu behaupten, ich hätte herausgefunden, wie sämtliche Betroffenen ihre Krankheit erleben oder wie alle Erkrankten mit ihr umgehen. Als Ergebnis des Projekts kann ich jedoch festhalten, dass es gewisse Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen verschiedenen Pa- tientengruppen gibt und sich einige Muster, wie zum Beispiel die schleppenden Diagnoseprozesse, über alle Gruppen hinweg wiederholen. Die zur Verfügung stehende Zeit von sechs Monaten hat schlichtweg nicht gereicht, um dieses hochkomplexe Thema in all seinen Facetten zu beleuchten.
Wie es weitergeht
Doch wie geht es jetzt weiter? Den Antworten auf einige Fragen, über die man zuvor noch gar nichts wusste, konnte ich mich dank ihrer Hilfe annähern. Diese Ergebnisse werde ich beispielsweise am 15. November 2018 beim Weltpankreastag in Ludwigsburg präsentieren und auch in einer Fachzeitschrift veröffentlichen. Hierüber halte ich Sie gern auf dem Laufenden. Einige Fragen konnte ich jedoch (noch) nicht beantworten. Ich denke nach wie vor, dass es wichtig ist, zu verstehen, was Betroffene erleben, um daraus Verbesserungen und Unterstützungsmöglichkeiten ableiten zu können. Aus diesem Grund möchte ich mich nun nach Abschluss meines Masterstudiums im Rahmen einer Doktorarbeit noch einmal vertiefend mit diesem Thema auseinandersetzen und in den nächsten Jahren den noch offenen Fragen nachgehen. Hierbei möchte ich mich sowohl mit der Betroffenenperspektive auseinander- setzen als auch einen weiteren Fokus auf die ebenfalls sehr wichtige Angehörigenperspektive legen. Sie werden also auf jeden Fall über TEB e.V. von mir hören. Ich würde mich freuen, mit Ihnen in Kontakt zu kommen und Ihre Geschichte und Sicht auf die Erkrankung zu hören. Hierzu bedarf es jedoch noch einiger Vorarbeiten.
Sobald es Neuigkeiten in dieser Sache gibt, werde ich Sie gern über das TEB-Magazin auf dem Laufenden halten. Weitere Informa- tionen finden Sie auch auf meiner Projektwebseite www.forschungsprojekt-bauchspeicheldruesenkrebs.de .
Herzlichen Dank für Ihr Interesse an meinem Projekt, alles Gute und bis bald.
Patrick Ristau
DANKSAGUNG
Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Interessierten, die den Mut aufgebracht haben, sich auf meinen Aufruf hin bei mir zu melden. Besonders möchte mich bei allen InterviewpartnerInnen für die Zeit, die sie sich genommen haben, und die Offenheit, mit der sie mich an ihrem Leben und ihren Geschichten teilhaben ließen, bedanken. Ich habe durch den Kontakt mit ihnen und der Auseinandersetzung mit ihren Geschichten und Erlebnissen unschätzbare Erkenntnisse über diese schreckliche Krankheit, aber auch über Lebensmut, Hoffnung und Zuversicht gewinnen können. Der Austausch mit ihnen hat mein Leben nachhaltig bereichert. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für den weiteren Lebensweg.
Frau Katharina Stang von TEB e.V. hat dieses Projekt durch ihre Ermutigung zur Wahl des Themas und Unterstützung bei der Durchführung erst ermöglicht.
TEB e.V. leistet großartige Arbeit für die Betroffenen und deren Angehörige. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich dafür bedanken, dass TEB e.V. mir den Zugang zu den Betroffenen ermöglicht hat. Das hat mir sehr geholfen und ist - gerade im Kontext der Selbsthilfegruppen, die Forschungsprojekten oftmals reserviert gegenüberstehen - alles andere als selbstverständlich.
Frau Professorin Dr. Ulrike Manz und Frau Professorin Dr. Margret Flieder von der Evangelischen Hochschule Darmstadt haben diese Arbeit wohlwollend begleitet und betreut.
Patrick Ristau, M. A.
Eisenacher Str. 764331 Weiterstadt
www.forschungsprojekt-bauchspeicheldruesenkrebs.de
forschungsprojekt-bauchspeicheldruesekI7DxV2YxZgHkLbY3rSgTcWsYx4Rgmx.de