Erstes Gruppentreffen unter neuer Führung
Das erste Gruppentreffen der Regionalgruppe Lauter-Fils fand in diesem Jahr am 11. Januar 2017 in den gewohnten Räumen statt. Wie in den meisten Gruppentreffen davor kamen sehr viele Gruppenmitglieder zu diesem Treffen. Gleich zu Beginn ging es zu wie im Taubenschlag, es wurde gesprochen, gelacht und miteinander geherzt. Ganz allmählich gelang es Herrn Kistenfeger, die Gruppe in gewohnter Weise zu eröffnen. Nachdem Ruhe eingekehrt war, berichtete er von seinen Telefonaten mit Gruppenmitgliedern, denen es im Moment leider nicht so gut geht. Wir waren traurig, denn jeder, der nicht kommen kann, fehlt uns. Wir sind eine Familie, jeder ist für den anderen da. Man spürte, dass Herr Kistenfeger für einen Augenblick innehalten musste, seine Gefühle, so schien es, fuhren mit ihm im Kreis.
Ja, was macht man am besten in einer solchen Situation? Man gibt an den anderen weiter und hofft, dass der das Ruder übernehmen kann. Ich übernahm, doch auch mir ging es ähnlich, ich fühlte eine Leere und Traurigkeit in mir. Deshalb brachte ich erst einmal Ruhe in die Gruppe und dann erzählte ich, was längst schon alle wussten: dass ich ab heute die Leitung der Gruppe übernehme. Ich betonte ausdrücklich, dass es ohne die Zustimmung von Herrn Kistenfeger, dass er mein Stellvertreter bleibt, nicht gegangen wäre.
Nach all diesen Förmlichkeiten ging es nun in die Gruppenarbeit. Doch wo fängt man bei dieser Gruppengröße an? Jeder soll zu Wort kommen und seine Sorgen, Nöte und Ängste ansprechen können. Deshalb entschloss ich mich, einfach in die Runde zu fragen, wo der Schuh drückt, was anliegt, wer was auf dem Herzen hat. Sofort kamen Fragen zu den verschiedensten Themen, die ich der Reihe nach versuchte zu erklären.
Unsere H. wollte wissen, ob die Therapie, die in ihrem Befund empfohlen wurde, die richtige sei. „Mensch, Katharina, über 5 Jahre hatte ich geglaubt, ich hätte den Bauchspeicheldrüsenkrebs besiegt, und jetzt das.“ Ich spürte, dass sie am Ende ihrer Kraft war. Jahrelang war sie unser „Stehaufmännchen“, sie war voller Lebensmut, gab vielen Betroffenen Mut und war immer voller Hoffnung. Ich las den Befund und stellte fest, dass es sich hier um einen Lungentumor handelt. Ich empfahl ihr, wie vielen anderen auch, sich eine zweite Meinung in einer Fachklinik einzuholen.
Meine Erfahrung ist, dass Betroffene, die sich eine zweite Meinung einholen, oftmals besser verstehen können, worum es bei ihrer Erkrankung geht. Auch fällt es ihnen leichter, bei ihrem behandelnden Arzt geeignete Therapiewünsche zu äußern. Sie haben einen anderen Blick!
Ich erkläre es immer so: „Wenn ich niemals eine Schokolade gegessen habe, weiß ich nicht, wie sie schmeckt. Ich muss glauben, was andere mir erzählen“. Mir war und ist es immer wichtig gewesen, dass jeder weiß, dass eine zweite Meinung nicht bedeutet, dass man seinen Arzt, die Behandlung oder Therapie wechseln soll oder muss. Eine zweite Meinung heißt, ich höre mir andere Meinungen an und kann dadurch vielleicht leichter eine Entscheidung treffen, weil ich mehrere Ansichten kennengelernt habe und mit meinem behandelnden Arzt darüber erneut sprechen kann.
Ich spürte ihre Unsicherheit und vor allem spürte ich ihre Angst vor dieser neuen Situation, die für sie im Moment nicht einschätzbar ist. Wir alle waren sehr betroffenen und traurig, als sie ging, es war ihr einfach alles zu viel.
Noch lange diskutierten wir über die Vor- und Nachteile einer zweiten oder gar dritten Meinung. Dabei stellte ich fest, dass viele glaubten, eine zweite Meinung beinhaltet immer, dass man den Arzt oder das Krankenhaus wechseln soll. Gott sei Dank waren einige im Raum, die über ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Umgang mit einer zweiten Meinung berichten konnten. Alle konnten bestätigen, dass eine zweite Meinung von vielen Ärzten, ohne dass sie böse sind, akzeptiert wird. Eine zweite Meinung kann sinnvoll sein. Ein Betroffener sagte, selbst sein Arzt hätte sich eine zweite Meinung über seinen Fall eingeholt. Viele stimmten zu!
Nach so einer heftigen, aber sehr guten Diskussion schloss ich die Gruppe und wünschte allen einen guten Nachhauseweg.
Doch für mich und Herrn Bibow war noch lange nicht Schluss. Wir machten noch einen Beileidsbesuch bei unserem E., leider konnte ich aus terminlichen Gründen bei der Beerdigung seiner lieben Frau nicht dabei sein. Die Freude war sehr groß bei E., endlich war er für ein paar Stunden nicht alleine, er konnte sich unterhalten und über die Vergangenheit plaudern. Liebevoll hatte er den Tisch gedeckt und einen kleinen Imbiss vorbereitet. Er erzählte uns, es sei alles so traurig, leer und einsam. „Alles was ich mache oder machen könnte, macht mir keinen Spaß. Überall fehlt mir meine Frau. Ich habe kaum noch einen Antrieb. Ja, ich habe meinen Sohn mit Familie und diese kümmern sich sehr intensiv und liebevoll um mich, aber es nicht meine H.“ Wir hörten zu, wussten wir doch, dass der Verlust eines liebgewonnenen Menschen immer sehr, sehr weh tut. Herr Bibow erzählte von seiner damaligen Situation, als auch er seine Frau verloren hat und ich versuchte E. Mut zuzusprechen, dass das Leben für ihn nicht zu Ende sei und dass eines Tages wieder Licht in sein Leben kommen wird. Aus Erfahrung weiß ich, dass Trauernde erst durch das Tal der Traurigkeit gehen müssen, um wieder das Licht der Sonne zu erblicken. Wie alles braucht auch Trauer ihre Zeit.
Gerne wären wir noch länger geblieben, leider war unser Weg nach Hause noch sehr weit, und in der Zwischenzeit fing es leicht an zu schneien. Als wir uns gegen 20 Uhr verabschiedeten, wurden wir von E. in den Arm genommen. „Bitte kommt wieder, es war ein wunderschöner Nachmittag für mich“. Wir versprachen ihm, wieder zu kommen.
Katharina Stang