Bericht über das Gruppentreffen der RG Mittlerer Neckarraum
Tag: 27. Januar 2015
Kaum hat das Jahr angefangen, geht auch der jährliche Rhythmus innerhalb der Gruppen seinen gewohnten Gang. Bevor wir starteten, tranken wir Kaffee, aßen einen sehr guten Kuchen und sprachen in einer offenen Gesprächsrunde über dies und da. Vieles gab es heute zu erzählen.
Ein Blick in die Runde signalisierte, dass nicht alle da waren. Warum? Doch etwas ängstlich kamen die Fragen: Wo ist R.? Wie geht es ihr? Was macht R.? Ist er noch im Krankenhaus? Wie gefällt V. die Reha?
Fragend schauten sie mich an. "Katharina, Du bist doch sicher über alles Neue informiert." Da die Fäden bei mir zusammenlaufen, war ich auch bestens informiert. Mit Bedacht wählte ich meine Worte und informierte die Gruppe über das, was sie längst ahnten.
Nach einer kurzen Begrüßung entschied ich mich dafür, dass wir heute mit einer Vorstellungsrunde beginnen. Dazu stellte ich vier Fragen, die jeder beantworten sollte: Wer bin ich? Was habe ich? Was erwarte ich von der Gruppe? Wie lange komme ich in diese Gruppe?
Mein Ziel war es, erstens herauszufinden, welche Themen heute unbedingt angesprochen werden müssen und zweitens sollten die Neuen dadurch einen Einblick erhalten, wer, mit welchen Vorstellungen und aus welchen Gründen jeder Einzelne in der Gruppe ist.
Schon während der Vorstellungsrunde erkannte ich, heute wird es anstrengend. Es gab viele Fragen zur Erkrankung der Bauchspeicheldrüse: -akute, chronische, Tumore - und viele Fragen zur Diagnostik: Behandlungen und Therapien, Ernährung, Enzyme, Zusatzernährung, sowie Gewichts- und Verdauungsprobleme.
Wo sollte ich anfangen, alles war wichtig? Deshalb einigten wir uns darauf, dass wir einen Betroffenen mit Bauchspeicheldrüsenentzündung und einen Betroffenen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs zu Wort kommen lassen. Dabei sollten die Neuen den Vortritt bekommen.
"Ich habe eine chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung, muss ich eine strenge Diät halten?"
"Darf ich weiterhin meine zwei Glas Bier am Abend trinken?"
"Brauche ich Enzyme? Wenn ja, in welcher Dosierung?"
"Ich habe ein Elastasetestergebnis von 78?"
"Was mache ich gegen Durchfall?"
So überschütteten die Anwesenden/Betroffenen mich mit ihren Fragen. Konsequent wurden alle Fragen nacheinander abgearbeitet und korrekt beantwortet.
Ein junger Mann (ca. 40 Jahre) war mit seinen Fragen an der Reihe. Nachdenklich sagte er: „Ja, wo soll ich anfangen? Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ohne jegliche Vorwarnung und aus heiterem Himmel erhielt ich die Diagnose. Ich habe weder geraucht noch getrunken und auch keine Drogen oder Medikamente eingenommen. Ich war glücklich in meinem Beruf und ich hatte Pläne und Ziele, die ich mit meiner Partnerin erreichen wollte.
Seit dieser Diagnose geht gar nichts mehr, ich fühle mich kraftlos, hilflos, überfordert und hoffnungslos ausgeliefert. Ich und meine Partnerin sind total neben der Spur. Wir wissen nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Und was ich am meisten vermisse, ist, dass Ärzte mich nicht richtig aufklären. Jeder sagt etwas anderes und vieles muss ich selber herausfinden."
Dann erzählte er weiter: "Seit dem Tag, als mir die Diagnose mitgeteilt wurde, ging alles Schlag auf Schlag. Ich hatte kaum Zeit, alles zu begreifen und doch musste ich wichtige Entscheidungen treffen. So entschied ich mich für eine Operation, die nicht von Pappe war. Bereits nach zwölf Tagen wurde ich wieder aus der Klinik entlassen. Erst Zuhause merkte ich erst richtig, dass ich unendlich schlapp, müde, erschöpft und lustlos war. Ich war nicht einmal mehr in der Lage, meinen Tagesablauf zu strukturieren. Ich bin sehr müde, doch schlafen kann ich auch nicht. Immer wieder quälen mich die Gedanken der Angst, was kommt morgen wieder auf mich zu und wie kann ich das alles bewältigen. Wie soll alles weiter gehen? Was wird aus meinem Beruf, kann ich ihn noch ausführen? Was wird aus meiner Partnerschaft?"
Ruhig, aber traurig sprach er weiter: “Meine Partnerin hilft mir, wo sie kann, aber auch sie leidet unter dieser schwierigen Situation, es ist nichts mehr, wie es war“.
Alle hörten zu, keiner sprach dazwischen und so mancher nickte und sagte: “Mir ging es ähnlich, doch seit ich in der Gruppe bin, fühle ich mich verstanden und aufgehoben. Durch dieses Miteinander innerhalb der Gruppe werden wir beide von dem Verständnis und dem Einfühlungsvermögen getragen. Auch mein Leben spielt sich seit der Erkrankung nur noch zwischen Arztbesuchen, Blutabnahmen, Krankenhausaufenthalten, Chemotherapien und der damit verbundenen Übelkeit ab. Wir können nichts mehr planen, Besuche von Freunden und Bekannten gibt es kaum noch und ans arbeiten kann ich gar nicht denken." Er hielt kurz inne und sprach leise weiter: "Überflüssig, wertlos und zu nichts mehr nutze, so fühle ich mich seit der Diagnose."
Dann machte er eine Pause. Man spürte, er braucht jetzt alle Kraft, um sich und seine Gefühle zu beherrschen. Alle waren betroffen, auch ich. Wir hatten wieder einmal hautnah erleben müssen, was diese schwere Erkrankung bei den Betroffenen auslöst. Ich war froh, dass ich es rechtzeitig spürte und wir ihm die nötige Zeit und Raum gaben, sich zu öffnen.
Ein Gruppenmitglied klopfte ihm behutsam auf die Schulter und meinte: "Ich kann Dich gut verstehen, auch mir ging es so und ich habe heute noch manches mal Angst. Doch hier in der Gruppe habe ich gelernt, dass man die Erkrankung erst annehmen muss, um sie dann bekämpfen zu können. Glaube mir, durch die Gruppe lernt man mit der Erkrankung umzugehen und deine Fragen werden beantwortet. Hier ist ein kompetenter Ansprechpartner, der dich durch den Dschungel der Behandlungen und Therapien führt. Hab Vertrauen, Du bist nicht mehr alleine, wir alle helfen Dir und stützen Dich!"
Dem war nichts mehr hinzuzufügen und wir machten eine Pause, um unsere Gedanken und Gefühle wieder neu zu ordnen.
Nach der Pause war das ebenfalls sehr wichtige Thema „Ernährung und Enzyme“ zu besprechen. Dieses Thema ist ein Dauerbrenner und fehlt in keiner Gruppenstunde.
Enzyme werden oftmals nicht richtig verordnet und eingenommen, oder nicht richtig dosiert. Bei richtiger und ausreichender Einnahme könnten Durchfälle, übelrichende Blähungen, Fettstühle, Gewichtsabnahme verhindern werden. Dabei ginge es den Betroffenen oftmals besser. Ein positiver Nebeneffekt wäre die Einsparung von Folgekosten. Diese könnten vermieden oder abgefedert werden, wenn z. B. die hohe Sachkompetenz einzelnen Selbsthilfeorganisationen vermehrt in Anspruch genommen würde.
Gleich wichtig war das nächste Thema: Die Unterernährung.
Viele Betroffene nehmen sehr viel ab (Abnahmen ab 5% vom Gesamtgewicht sollten nach der S3 Leitlinie bereits behandelt werden), ohne dass es dem behandelnden Arzt auffällt. Dabei wissen wir aus Erfahrung, dass die Ernährung selbst und das Gewicht halten unendlich wichtig sind. Ernährung ist das Fundament des Körpers. Wenn es wacklig, schief oder brüchig ist, kann man niemals den Körper ausreichend versorgen und es kommt zu einer erheblichen Unterversorgung. Essen ist lebensnotwendig und bedeutet Lebensqualität!
Wir hätten noch vieles ansprechen können, doch die Zeit verging zu schnell und wir mussten die Gruppe schließen. Einige mussten auf ihren Zug. Ich wünschte allen einen guten Nachhauseweg und ein baldiges gesundes Wiedersehen.
Im Anschluss an die Gruppe wurden noch Betroffene und deren Angehörigen von mir persönlich, individuell beraten.
So endete dieser Gruppennachmittag für mich erheblich später als vorgesehen.
Katharina Stang